Crumb: Makrokosmos, Volume II

(Text im Booklet zur CD "Portrait Erik Reischl, Volume 4")

George Crumb zählt zu den bedeutendsten Komponisten unserer Zeit. 1968 wurde er für sein Werk „Songs, Drones and Refraines of Death“ mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit „Black Angels“ für elektronisches Streichquartett, mit dem ich meine erste Bekanntschaft mit der Musik Crumbs machte, und schon damals faszinierte mich die geniale Verbindung des immensen Reichtums an extravaganten Klangfarben mit einer sorgfältig durchdachten und ausgearbeiteten Form.

Die beiden ersten Bände des Makrokosmos entstanden in den Jahren 1972 und 1973 und bestehen jeweils aus 12 Einzelstücken, die wiederum zu Gruppen von je vier zusammengefaßt sind. Jedem Stück sind sowohl ein Sternzeichen zugeordnet als auch die Initialen einer Person, die unter diesem Zeichen geboren wurde. Das Schlußstück jeder Vierergruppe ist zudem in symbolischer Form notiert, als Kreis, Kreuz, Spirale oder als Friedenszeichen.

Während der Titel eine Hommage an Bartóks „Mikrokosmos“, eine Sammlung von 153 kurzen Klavierstücken, darstellt, spiegelt das Werk in formaler Hinsicht die Bewunderung des Komponisten für Claude Debussy wider, dessen 24 Préludes ebenfalls in zwei Bänden zu je zwölf betitelten Einzelstücken zusammengefaßt sind. Daneben erwähnt der Komponist noch zwei weitere Komponisten, die Einfluß auf sein Werk hatten:

„...ich vermute jedoch, daß der spirituelle Impuls meiner Musik eher Ähnlichkeit mit der dunklen Seite Chopins hat, ja sogar mit der kindlichen Phantasie des frühen Schumann.“

Crumbs Klangwelten entstehen durch den Einsatz von weit über das Konventionelle hinausgehenden Spieltechniken. Im Makrokosmos zupft der Interpret Saiten, dämpft sie ab, klopft auf den Rahmen, singt, pfeift, flüstert, schreit und imitiert mit seiner Stimme Instrumente, wie beispielsweise einer indischen Tambora. Darüberhinaus macht das Anfangsstück jeder Vierergruppe Gebrauch von externen Gegenständen, die zu einer besonderen Klangverwirklichung benötigt werden. So wird in „Morning Music“ ein Stück Papier (in genauen Abmessungen) auf die Saiten gelegt, was ein metallisches Vibrieren zur Folge hat. Im „Ghost Nocturne“ werden zwei zylindrische Gläser auf den Saiten unter Druck vor und zurück bewegt, was den heulenden, geisterhaften Effekt bewirkt. Der „Cosmic Wind“ wird durch einen Jazzbesen erzeugt, welcher in unterschiedlichen Regionen und Druckstärken über die Saiten geführt wird.

Da viele der Klangeffekte wie Pizzicato oder Nachhall im äußersten Pianissimo stattfinden, wird bei einer Live-Aufführung das Klavier durch ein Mikrophon über den Baßsaiten verstärkt. Wir verzichteten in dieser Einspielung bewußt auf diese Möglichkeit, da die Verwendung von acht Mikrophonen, teilweise sehr nahe am Flügel positioniert, diesem Umstand Rechnung trägt, ohne das originale Klangbild zu verzerren.

(Erik Reischl)