Debussy: Première Rhapsodie, Petite Pièce

(Text im Booklet zur CD "Portrait Erik Reischl, Volume 5")Der endgültige Durchbruch als Komponist gelang Claude Debussy (1862-1918) in der Zeit um das Jahr 1909. Während seine Oper „Pelléas und Mélisande“ bei ihrer Uraufführung im Jahre 1902 durch Presse und Publikum noch ziemlich kühl aufgenommen worden war, geriet die Aufführung des Werkes im Londoner Covent Garden am 21. Mai 1909 zum Triumph. Ein Jahr zuvor hatte er dort bereits mit seinen Orchesterwerken „La Mer“ und „Prélude à l’après-midi d’une faune“ große Erfolge gefeiert.

Auch in Paris setzte sich nun seine Musik durch, und infolge dessen berief Gabriel Fauré, seit 1905 Direktor des Pariser Conservatoires, Debussy in den „Conseil Supérieur“ (Oberstes Ratsgremium) der Institution.

Eine seiner ersten Aufgaben bestand in der Komposition zweier Pflichtstücke für den Wettbewerb der Klarinettisten des Konservatoriums. Zunächst begann Debussy im Dezember 1909 mit den Arbeiten an der Rhapsodie für Klarinette und Klavier, die er etwa einen Monat später abschloß. Der Jury, welche die Vorträge der elf Kandidaten am 14. Juli 1910 bewertete, gehörte Debussy ebenfalls an. Am Folgetag schrieb er an seinen Verleger Jacques Durand:

„Der Klarinettenwettbewerb verlief äußerst zufriedenstellend, und den Gesichtern meiner Kollegen nach zu urteilen, war die Rhapsodie ein Erfolg. [...] Einer der Kandidaten, Vandercruyssen, spielte sie auswendig und sehr musikalisch. Die anderen waren eher geradeheraus und unauffällig.“

Zur offiziellen Uraufführung gelangte die Rhapsodie am 16. Januar 1911 in der Salle Gaveau zu Paris durch den Klarinettisten Prosper Mimart, der zugleich der Widmungsempfänger war. Debussy war von dessen Interpretation offenbar derart begeistert, daß er spontan erklärte, dies sei eines der hübschesten Stücke, die er je geschrieben habe. Diese Begeisterung wird ihn wohl auch dazu bewogen haben, im selben Jahr eine Fassung für Klarinette und Orchester zu erstellen, in der das Werk heute auch allgemein bekannt ist.

Im Druck erschien das Stück als „Première Rhapsodie“. Eine zweite Rhapsodie für Saxophon und Orchester stellte Debussy nie fertig.

Bei dem zweiten Pflichtstück handelt es sich um das „Petite Pièce“, ein Werk von nur 36 Takten und knapp zwei Minuten Dauer. Im Gegensatz zur Rhapsodie, zu deren Vorbereitung die Kandidaten einige Monate Zeit hatten, bestand ihre Aufgabe hierbei, das Stück „prima vista“, also direkt vom Blatt vorzutragen. Entsprechend sind auch die technischen Schwierigkeiten eher gering, sicher jedoch wird die Jury genaues Augenmerk auf die korrekte Ausführung des punktierten Rhythmus gelegt haben, der sich durch das gesamte Stück zieht. Für eine Komposition, welche eigentlich „nur“ für Examenszwecke gedacht war, ist das „Petite Pièce“ ein wunderbares, charmantes Kleinod.

(Erik Reischl)