Debussy: Proses lyriques

(Text im Booklet zur CD "Portrait Erik Reischl, Volume 2")

Von den über 60 Liedern Claude Debussys entstand ein Großteil in den Jahren 1882-1893, einer frühen Schaffensperiode des Komponisten, noch vor Beginn der zehnjährigen Arbeit an seiner Oper "Pelléas et Melissande" und vor den gewichtigen Klavierwerken wie den Préludes, Images, Estampes, der Suite Bergamasque und den Etüden. Eine Schlüsselfigur im Liedschaffen Debussys stellt Mme Marie-Blanche Vasnier dar, eine - offenbar außerordentlich begabte - Laien-Sopranistin, die er 1880 als Korrepetitor in der Gesangsklasse von Mme Moreau-Sainti kennenlernte. Rasch entwickelte sich die gegenseitige Bewunderung zu einer fruchtbaren Freundschaft, die den Boden für zahlreiche Lieder schuf. Das Ausmaß dieser Verehrung wird anhand der folgenden Widmung deutlich:

"Für Madame Vasnier. Diese Lieder, welche sie allein zum Leben erweckte und welche ihre bezaubernde Anmut verlieren werden, wenn sie nicht mehr von ihren singenden, märchenhaften Lippen kommen. Der ewiglich dankbare Autor."

Die "Proses lyriques", entstanden in den Jahren 1892-1893, sind die einzigen Lieder Debussys, deren Texte vom Komponisten selbst stammen. Die Entscheidung, durch eigene Dichtung ein einheitliches Gesamt-Kunstwerk zu schaffen, rührt aller Wahrscheinlichkeit nach her von der - wenngleich zwiespältigen - Bewunderung für Richard Wagner. Die Texte knüpfen dabei nahtlos an die Gedichte der Symbolisten Bourget, Baudelaire und Verlaine an, die Debussy zuvor vertonte, hingegen erreichen sie weder das literarische Niveau dieser bedeutenden Schriftsteller, noch den musikalischen Standard seiner eigenen Komposition. Es scheint jedoch, als sei es Debussy weniger auf den Inhalt der Texte angekommen, als vielmehr auf die Klang-Qualität gewisser Wörter und bisweilen sogar Silben.

Die Entstehungszeit dieser Lieder fällt zusammen mit einer intensiven Freundschaft zu dem Komponisten Ernest Chausson und seiner Gattin. Debussy war häufig Gast im Hause Chausson, so auch im Juni 1893, wo er das dritte Lied "De fleurs..." (von Blumen) komponierte und Mme Chausson mit der folgenden Anmerkung im Autograph widmete:

"Für Madame E. Chausson als Geburtstagsgabe und respektvolle Huldigung an ihren Charme, mit dem sie ihre Rolle als Madame Chausson erfüllt".

Die Uraufführung der letzten beiden Lieder fand im Februar 1894 in Paris statt, am 1. März folgte dann die Aufführung des gesamten Zyklus in Brüssel, jeweils interpretiert von Thérèse Roger mit Begleitung des Komponisten am Flügel. Ungeachtet der Erfolge dieser Aufführungen litt Debussy jedoch noch lange an Selbstzweifeln:

"Es gibt immer noch Dinge, die ich nicht kann - beispielsweise Meisterwerke schaffen oder wirklich verantwortungsvoll sein -, da ich zu sehr über mich selbst nachdenke und die Realität erst sehe, wenn sie mir aufgezwungen wird und dann unüberwindlich ist."

Wahrscheinlich ist es jedoch gerade diese Realitätsferne, die Debussys Schaffen auszeichnet - das Eintauchen in eine ganz persönliche Klangwelt, einer individuellen Sprache, der Debussy stets treu blieb.

(Erik Reischl)