Reich: Piano Phase

(Text im Booklet zur CD "Portrait Erik Reischl, Volume 4")

Das Phänomen des „phase shifting“ (Phasenverschiebung) entdeckte Steve Reich eher durch Zufall. Im Jahr 1965 experimentierte er mit Endlosschleifen von Tonbändern und deren psychoakustischen Wirkungen. Er nahm einen Straßenprediger aus San Francisco auf Tonband auf und formte kurze Abschnitte daraus zu Schleifen, die er auf zwei Tonbändern gleichzeitig abspielte. Durch minimale Längenunterschiede der Schleifen ergaben sich Phasenverschiebungen dieser Sprachpatterns, die auf den Komponisten eine hohe Faszination ausübten. So entstanden seine ersten Tonbandkompositionen „It’s Gonna Rain“ und „Come Out“.

Einige Monate später, Ende 1966, nahm Reich eine kurze Tonfolge („Pattern“) auf dem Klavier auf, erstellte daraus eine Endlosschleife und versuchte nun, selbst am Klavier gegen dieses Tonband zu spielen und eine Phasenverschiebung zu erreichen:

„Zu meiner Überraschung fand ich heraus, daß, obwohl mir die Perfektion der Maschine abging, ich mich ihr doch ein gutes Stück annähern konnte.“

Das Interessante an den Phasenverschiebungen sind die sogenannten Summationsklänge („resulting patterns“), die sich durch die Überlagerung dieser beiden Tonfolgen ergeben. Das menschliche Ohr neigt dazu, sich überlagernde Tonfolgen sowohl melodisch als auch harmonisch zu unterschiedlichen Summen zu vereinen. So entstand 1967 das Werk „Piano Phase“, welches den Anfangspunkt weiterer „Phasen“-Kompositionen darstellt (unter anderem Clapping Music, Violin Phase und Pendulum Music).

Im Original handelt es sich bei „Piano Phase“ um ein Werk für zwei Klaviere. Das erste Klavier beginnt mit dem zwölf Töne umfassenden Pattern, woraufhin sich das zweite langsam einblendet. Kurz danach beschleunigt Klavier zwei ganz behutsam, während der erste Pianist stets das Tempo beibehält, bis schließlich sein Partner eine Note voraus ist und ab hier wieder das Tempo hält, um den neuen Summationsklang zu etablieren. Dieser Vorgang wiederholt sich zwölfmal, bis die Tonfolgen beider Pianisten wieder in Phase sind. In einem zweiten Abschnitt führt Reich ein neues, aus acht Tönen bestehendes Pattern ein, wozu das zweite Klavier eine andere, jedoch klanglich und harmonisch ähnliche Folge spielt und der Phasenverschiebungsprozeß erneut durchlaufen wird.

Aus den mittleren vier Tönen dieses Patterns wird die Folge für die dritte und letzte Phase abgeleitet. Auch hier findet derselbe Überholungsprozeß statt, bis zum Schluß beide Pianisten das Werk gleichzeitig und abrupt beenden.

Die vorliegende Einspielung ist die erste, welche die Umsetzung dieser Komposition mittels „Overdubbing“-Technologie verwirklicht. Zunächst spielte ich das erste Klavier in gleichbleibendem Tempo ein. Diese Einspielung wurde mir dann über Kopfhörer zurückgespielt, wozu ich den zweiten Part aufnahm, welcher dann in den einzelnen Takten die Beschleunigungen enthält. Der Einspielungsprozeß schlägt somit eine Brücke zur Entstehung des Werkes.

(Erik Reischl)